Die (Land)Gesandten des Zufalls

In einer großen Stadt sind die Regeln klar – es gibt eine riesige Menge an Strassennamen und Hausnummern – somit kann man sich recht leicht von Punkt A zu Punkt X bewegen: wildes kreatives logisches Interpretieren führt zu einer real existierenden Straße.

Auf dem Land sieht das anders aus.
Beschränkt man sich auf Straßennamen, ist die Vielfalt eher eine Wenigfalt.
Wir erweiterten die Regeln.
Unser "Fundstück" kann auf ALLES hindeuten.
Ein Dorf, ein Gebiet, ein Feld, ein Thema – irgendetwas.
Und das macht es schwer bis unmöglich.

Wir hatten eine Vorauswahl an Wegmarken gesammelt und die "richtige" ausgewürfelt.
Dort war unser Anfangspunkt, dort suchten wir und wurden fündig: Kühe mit Ohrmarken, Salzstangen, weitere Wegmarken, ein kaputter Zaun.
Wir entschieden uns nach langem leicht verwirrten Herumdenken für einen weiterführenden Weg, neben den netten und neugierigen Kühen, Li14, der uns irgendwie attraktiv schien.

“Li14”

Den gingen wir entlang und der gabelte sich schnell: links verhinderte eine "Vorsicht Jagd"-Schranke das Weitergehen, also rechts. Dort fanden wir sehr schnell einen Haufen interessant markierter Bäume, die uns zum nächsten Punkt führten.

“Stadt Liebenau, Abt. 109”

Wir gingen ins Stadtzentrum: ein Platz mit Rathaus und Sparkasse, die einzige mit Geldautomat weit und breit, da musste ich sowieso hin, zentral, Geld, essentiell.
Ein zentraler Steintisch. Ein Kaminfeuer in Haus Nummer 6. Ein sechseckiger Tisch mit Weinreben. Eine Israelflagge mit sechseckigem Stern. In der Sparkasse: ein Wandbild mit 55 Ansichten von Liebenau.

Wir dachten “Abteilung 109” und zählten die Bilder ab – Bild 109 (die 55 Bilder zweimal abgezählt) zeigte eine grüne Tür in einem grünen Holztor mit dem Schatten einer Strassenlampe davor, geformt wie ein Paddel oder ein Fluß mit Verdickung.
Diese Tür existierte wirklich und wir fanden sie komischerweise sofort.
Das Paddel deutet auf Wasser, auf Flußlauf, auf Holz, die Tür auch auf irgendetwas Grün-Holziges …
Das Schloß im Tor: Wasserschloß! Das Paddel im Grünen: Holzape, ein Fluß in der Nähe! Die Verdickung im Paddel, im Fluß: die Einmündung!

“Das Wasserschloß an der Mündung des Holzape-Flusses”

Unsere nächste Station also: das Wasserschloß an der Mündung des Flusses … hört sich an wie ein toller Film, war aber eher ein wenig verlassen und langweilig.

Obwohl: das Sechseck tauchte wieder auf! Im sechseckigen Glockenturm, in Hinweisschildern, die alle aus sechs Kacheln bestanden. Wir fühlten uns also auf der richtigen Spur. Eine Ecke im Schloß zog uns an: der Trockenraum mit seinem Schild (auf der Trockenleine: Pilz, Schinken, Heu, Socken!), neben dem noch ein paar vereinzelte Weintrauben hingen, das einzig Lebendige hier. Wein hatten wir doch schon mal …

Jetzt zur Mündung des Flusses, um die Ecke vom Schloß, über eine nasse Wiese, der Zaun war netterweise von einem umgefallenen Baum (Trockenholz!) umgenietet, wir könnten also dort lang bis zur Mündung der bisher lustig plätschernden Holzape, die an ihrem Ende aber plötzlich still stand, stagnierte. Sonst nix. Ausser einem Baumstamm, wieder tot, bedeckt von einer Menge hellgelber Pilze.

Jetzt waren wir ziemlich ratlos. Sollen wir eine Pilzstraße in irgendeinem Dorf suchen? Sollten wir aufhören und ein leckeres Pilzgericht mit Wein zu uns nehmen? Die stagnierende Mündung interpretieren? Holz, Wasser, Pilz, Nasswiese … die Pilze waren das einzig Neue und wir wandelten die Buchstaben P, I, L und Z in Zahlen, und aus der Quersumme bildeten wir einen einzigen Buchstabe: I.

Wir erinnerten uns: zu fast allen Dörfern in der Umgebung gehören Wanderwege mit deren Initialen. I deutete auf Immenhausen. Dort gibt es acht Wanderwege. Wir hatten ja eine 17 (das Schloß wurde 1628 erbaut - davon die Quersumme), wiederum deren Quersumme, acht, führte uns zu dem Wanderweg I8.

“I8”

Unsere nächste Station: ein Rundweg. Wir konnten also irgendwo einsteigen.

I8 stand an vielen Bäumen und Masten. Der Weg selber war stinklangweilig.

Eine Bank, ein Mülleimer, Forellenfilets (wer isst Forellenfilets beim Wandern??), eingewickeltes Heu … da, um die Ecke: verborgene Bienenstöcke! Na klar, Immen = Bienen! Davor ein paar Pusteblumen. Es ist Winter, aber der Sommer kommt wieder. Weiter den Weg entlang sticht ein seltsames gelbes Kunstwerk in die Augen: der Weg zu den Sternen! The Path to the Stars! Wir fühlen: das könnte das Ende sein. Drei wabenförmige (sechseckige!) honiggelbe Durchgucke nach Süden, auf der Erde liegen noch mehr, und komischerweise blühen hier noch viele bunte Blumen! Bienen! Blumen! Der Sommer wird wiederkommen, der Kreis dreht sich, das Leben dreht sich auch, wir haben ein wunderbares Gefühl und schließen damit gutgelaunt das Spiel für heute ab!

“The Path to the Stars”

   
   
   
Fotos: Jochen / Super 8: Dagie / entwickelt: beide / November 2013